Zum Jahresende möchte ich gerne ein paar Gedanken mit Ihnen teilen.
In diesem Jahr mussten viele unserer Patientinnen und Patienten lange auf einen Termin warten. Nicht nur bei uns in der Praxis. Überall in der Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie.
Warum machen immer weniger junge Menschen die Ausbildung in diesen Berufen?
Warum bleiben immer weniger Therapeutinnen und Therapeuten in diesen Berufen?
Fragen, auf die Antworten schwierig und vielfältig sind.
Ich bin seit fast 30 Jahren Physiotherapeut und seit mehr als 20 Jahren selbstständig mit meiner Praxis in Neudrossenfeld.
Zu Beginn meines Berufslebens habe ich die Gesundheitsreformen von Horst Seehofer und Ulla Schmidt miterlebt. Damals mussten viele Therapeutinnen und Therapeuten um ihre Jobs bangen, und man musste sich noch ordentlich und ausführlich bewerben. Trotzdem war es noch die Zeit, in der Patientinnen und Patienten bei einer Anschlussheilbehandlung täglich Einzelgymnastik bekamen und bei einer Kur zumindest dreimal wöchentlich. Dazu zahlreiche Anwendungen in den Reha-Einrichtungen.
Inzwischen gibt es in den Reha-Einrichtungen und Kurkliniken sehr viele Gruppentherapien. Einzeltherapien sind wesentlich weniger geworden. Dazu sind die Pläne voll mit Vorträgen zu unendlich vielen Themen im Gesundheitsbereich. In Krankenhäusern sind die Liegezeiten deutlich kürzer als früher, die Physiotherapie für den einzelnen damit auch weniger.
Die Fachkräfte in der Physiotherapie fehlen. Alternativen und Lösungen zur Versorgung müssen geschaffen werden. Ist dies nur bedingt möglich, folgen Tatsachen.
Warum werden Therapeutinnen und Therapeuten in den medizinischen Heilberufen weniger?
Liegt es an einer unattraktiven Ausbildung?
Wohl eher nicht.
Bis vor einigen Jahren mussten vielen Schulen noch aus der eigenen Tasche bezahlt werden.
Heute gibt es Schulgeldfreiheit, eine Ausbildungsvergütung, Urlaub und die Ausbildungsmethoden sind den technischen Möglichkeiten angepasst.
Die Inhalte sind sicherlich zu überdenken und in gewisser Form zu reformieren. Ein Beispiel wäre etwa die Integrierung der Manuellen Lymphdrainage in den Lehrplan. Grundsätzlich halte ich Zertifikatslehrgänge allerdings für notwendig und sinnvoll, da nicht alle Techniken und Inhalte in der notwendigen Qualität in die reguläre Ausbildung integriert werden können – oder man verlängert die Ausbildung.
Ich bin ein absoluter Verfechter der schulischen Ausbildung an Berufsfachschulen.
Wer danach oder ergänzend ein Studium in der Physiotherapie anstrebt, kann dies gerne tun und es soll auch ermöglicht werden.
Eine Vollakademisierung halte ich persönlich für den völlig falschen Weg. Wir nehmen uns damit potentielle Fachkräfte von morgen!
Und ich glaube auch nicht, dass ein Physiotherapeut mit einem Master-Abschluss 40 Stunden in der Praxis an der Bank arbeiten oder Gangschule im Krankenhaus machen möchte. Also werden uns diese Leute wieder am Patienten fehlen.
Liegt es an einer unattraktiven Bezahlung?
In der Physiotherapie liegt die Bezahlung inzwischen in einem guten Bereich und ist vergleichbar mit anderen Handwerksberufen. Ich persönlich verstehe mich noch als „Handwerker“.
Wir als Arbeitgeber müssen wirklich alle Register ziehen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Dazu gehören Fahrtkostenerstattungen, Dienstkleidung, Tankgutscheine, Betriebliche Altersvorsorge, Zuschuss oder Zahlung von Fortbildungen, Urlaub über dem gesetzlichen Anspruch, …! Inzwischen sind auch Abwerbungen mit horrenden Geldbeträgen keine Seltenheit mehr.
Meine Meinung dazu: Kann man machen … würde ich nie tun!
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich abwerben lassen, lassen sich bestimmt auch erneut abwerben … eine Frage des Geldes.
Bei der Bezahlung möchte ich gerne aus dem Buch von Tim Schlenzing „Finde deinen inneren Mönch“ zum Thema „Mehr“ zitieren:
Das Gute ist: MEHR geht immer.
Das Schlechte ist: MEHR hat kein Ende.
Wenn ich also 100 Euro mehr zahle, dass ist das schon mal gut. Es geht trotzdem bestimmt noch mehr, und mehr, und mehr.
Und das geht eben leider nicht. Wir als Arbeitgeber würfeln unsere Gehälter nicht aus. Ich achte darauf, dass meine Gehälter im Bezug zu meiner „betriebswirtschaftlichen Auswertung“ stehen. Ich möchte, dass mein Unternehmen gesund bleibt.
Es gibt viele Stellschrauben in einem Unternehmen, in einer Praxis, und es muss immer fair und realistisch bleiben. Mein Team braucht mich nicht nach Gehaltserhöhungen fragen. Die kommt von selbst, wenn es das Unternehmen und die Zahlen zulassen.
Ein Großteil der Gehaltshöhe hängt von den Rahmenverträgen mit den Krankenkassen ab. Diese werden von den Berufsverbänden verhandelt. Und ganz gleich welchen Berufsverband man präferiert. Es ist wichtig die Berufsverbände zu unterstützen, denn sie sind unser Sprachrohr. Und bevor jetzt jemand die Arbeit der Verbände kritisiert … engagiert euch selbst, werdet aktiv, macht selbst was! Auf geht´s!
Liegt es an der körperlichen Belastung?
Wohl eher auch nicht.
Durch die Ausbildung und Fortbildungen lernen wir schnell Kraft durch Techniken zu kompensieren. Selbstverständlich ist es ein körperlich anstrengender Beruf. Trotzdem bin ich in der Ausführung sehr flexibel und kann meine Tätigkeiten gestalten.
Gerade bei dem aktuellen Trend hin zu „Hands-off“ Techniken (Techniken ohne den Patienten anzufassen) und Gruppentherapien ist die körperliche Belastung absolut vertretbar.
Ich persönlich bin immer noch ein großer Freund von „Hands-on“ Techniken (Techniken mit anfassen der Patienten), was natürlich anstrengender ist und sich dennoch über Techniken arrangieren lässt.
Zudem habe ich immer die Möglichkeit Übungen meines Patienten mitzumachen und mich bei der Arbeit fit zu halten. Die Patientinnen und Patienten sind immer dankbar, wenn sie die Übungen nicht allein durchführen müssen. Ich tue ihnen einen gefallen, wenn ich mitmache und habe für mich noch einen positiven Effekt.
Ist es die psychische, emotionale Belastung?
Und hier kommen wir der Sache vielleicht schon einen Schritt näher, denn die psychische und emotionale Belastung ist immens.
Seit gut 3 Jahren habe ich mich von Reiner Krutti und dem HeartMath-Deutschland Team zum HeartMath-Coach und -Trainer ausbilden lassen bzw. mich ausgebildet. Das HeartMath-Konzept ist ein Resilienztraining.
„Resilienz ist die Fähigkeit, sich auf Stress, Herausforderungen
oder Widrigkeiten vorzubereiten, darauf angemessen zu reagieren
und sich davon wieder zu erholen.“
Definition nach HeartMath
Inzwischen halte ich selbst Vorträge und gebe Seminare in diesem Bereich. Mir fällt dabei auf, dass die emotionale Belastung der Menschen deutlich zunimmt. Nachrichten, Social-Media, Mails, Fernsehen, Zeitung … wir werden mit einer Flut von Informationen konfrontiert, die wir weder alle aufnehmen, noch adäquat verarbeiten können. Nachrichten sind meist negativ und verbreiten Angst. Wir sind schlicht weg … überfordert!
In der Physiotherapie kommt dann noch dazu, dass wir jeden Tag, jede Stunde mit dem Schicksal und den Problemen anderer Leute konfrontiert werden. Was ja völlig in Ordnung ist, da wir nur so eine vernünftige Anamnese und dann einen Behandlungsplan erstellen können. Neu bzw. vermehrt tritt auf, dass die Probleme ihren Ursprung bei vielen im emotionalen Bereich haben. Stress, Sorgen, Probleme in Arbeit und / oder Partnerschaft. Dazu kommt noch, dass viele die Zeit bei uns zusätzlich nutzen wollen, um über Politik, Krisen, Ärger und ihre Meinung dazu zu sprechen.
Was passiert nun, wenn ich als Therapeutin oder Therapeut auch Sorgen und Probleme habe?
Genau … es wird richtig heftig und anstrengend! Emotionen kosten uns 70% unserer Engeriereserven. Große und kleine Energielecks entstehen, die Akkus werden leerer und leerer.
Was vielen inzwischen fehlt ist dann eine effektive Regeneration! Grundsätzlich Regeneration!
Ich stelle oft und gerne die Frage „Wie regenerierst Du?“. Die Antworten sind spannend … „ich sehe fern“, „ich geh zum Laufen“, „ich geh Partymachen“, „ich mache XY“. Das ist alles sicherlich wunderbar … nur einfach keine Regeneration! Regeneration wäre z.B. schon ganz einfach schlafen! Wie viele Menschen leiden unter Schlafstörungen? Aus meiner täglichen Praxis weiß ich, dass es ganz, ganz viele sind! Also ist die Regeneration wieder gestört oder kaum vorhanden. Damit wird es grundsätzlich schon häufig schwierig angemessen auf alltägliche Situationen zu reagieren. Die Folge ist Gereiztheit, Frust, Ärger und Missverständnisse.
Wichtig wäre – und das ist unabhängig von der Physiotherapie -, dass wir es wieder lernen uns auf Herausforderungen und Widrigkeiten vorzubereiten, um dann angemessen darauf zu reagieren. Im nächsten Schritte dürfen wir uns wieder für eine bessere Regeneration entscheiden! Für innere Ruhe und Gelassenheit!
Jetzt die nächste Herausforderung … Wie mache ich das denn? Welche Methode wähle ich?
Dazu kommt noch die „Oh nein Montag“ und „Gott sei Dank Freitag“ Generation.
Früher haben wir uns gefreut, wenn wir Montag in der Schule mit Freunden zusammen gekommen sind und von unserem Wochenende erzählen konnten. Erzählen Sie heute mal jemandem, er soll sich am Montagmorgen mit einer Emotion von „Vorfreude“ auf den Parkplatz vor der Firma stellen. Ich mache das!
Diese Herausforderungen möchte ich gerne für meine Kolleginnen und Kollegen annehmen. Ich werde sie nicht übernehmen, denn das ist nicht meine Aufgabe. Ich möchte sie dabei unterstützen ihre persönliche Resilienz zu stärken und ihnen effektive Techniken an die Hand geben.
Ab 2025 biete ich HeartMath-Seminare für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in der Fortbildungsakademie Markus Pschick an.
Es ist mir eine große Freude und Ehre nach einigen Jahren Pause, wieder im Team der Fortbildungsakademie als Referent tätig zu sein.
Und vielleicht kann ich ja tatsächlich einige Kolleginnen und Kollegen unterstützen ihre Resilienz zu stärken und zu nutzen.
Ich freu mich drauf!
Ein Fazit – Mein Fazit
Markus Pschick hat mal gesagt „Ich erzähle euch nicht die Wahrheit.“ und das tue und kann ich auch nicht. Dies hier sind einfach meine Gedanken zum Jahresende. Sie betreffen die Physiotherapie und sicherlich auch Menschen außerhalb dieser Berufsgruppe. Die emotionale Belastung von uns allen ist in den letzten Jahren deutlich mehr geworden. Wir sind immer mehr einer Flut von Informationen ausgesetzt, die wir nicht mehr verarbeiten können, die uns definitiv überfordern.
Was uns fehlt ist die Fähigkeit der Regeneration. Die bewusste Entscheidung zu Ruhe und Gelassenheit.
ICH ENTSCHEIDE! … DER Satz meiner Seminare!
Das hat ist gesunder Egoismus. Selbstschutz. Emotionsmanagement. Raus aus der Negativspirale.
„You see the world, through how you feel!“
Gerade in den medizinischen Berufen halte ich das für immens wichtig.
Wir brauchen zum einen wieder mehr Wertschätzung, Respekt, Dankbarkeit und Mitgefühl, zum anderen wieder Regeneration für uns selbst.
Wir brauchen unbedingt wieder mehr Freude an unserem eigenen Tun und dort auch die entsprechende innere Aufmerksamkeit.
Und wir brauchen Eigenverantwortung! ICH ENTSCHEIDE!
„Die beste Weise, sich um die Zukunft zu kümmern, besteht darin,
sich sorgsam der Gegenwart zuzuwenden.“
– Thich Nhat Hanh –
Vielleicht kann ich so einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass doch wieder mehr junge Menschen diesen tollen Beruf anstreben, oder Therapeutinnen und Therapeuten dabei bleiben und wieder Freude an ihrem Tun haben.
Das ist mein Wunsch für 2025 und mein „Wofür“ ich diese Seminare anbiete!
In diesem Sinne …
herzliche Grüße und einen schönen Jahresausklang
wünscht Ihnen